Djerassi:
"... ohne Vertrauen kann das Unternehmen Forschung
nicht existieren..."
aus "EGO" - Radio-Interview 15.4.2004 im Deutschlandfunk:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/264542/
Carl Djerassi, "EGO - Roman und Theaterstück"
Jenseits der Forschung - von Lerke von Saalfeld
"Der Tod des Autors ist die Geburt der Literatur"
philosophiert Carl Djerassi in seinem neuesten Werk,
das den Titel EGO trägt. Der weltberühmte
Naturwissenschaftler erfand Anfang der 50er Jahre das
künstliche Gestagen, die Grundlage für die
Antibabypille - er spricht allerdings nicht von Antibabypille,
sondern von der Pille für die Frau. Seit fünfzehn
Jahren ist er nun auch zum Schriftsteller mutiert. Djerassi
hat eine zweite Karriere begonnen, weil das Schreiben
ihm mehr Freiheit erlaubt als die wissenschaftliche
Forschung. Der heute 81jährige sehr vitale und
immer noch neugierige Chemiker bekennt als Impetus seines
Schreibens:
Ich muss sagen, die wirklich erste Motivation war,
die Literatur zum intellektuellen Schmuggeln zu gebrauchen,
indem ich Ideen und Gegenstände, die alle von der
Naturwissenschaft kommen, in ein generelles Publikum
hineinschmuggeln wollte, ein Publikum, das nicht an
diesen Sachen interessiert ist oder Angst vor denen
hat. Ich möchte Geschichten erzählen, ich
möchte sie ins Theater einladen. Alle Leute wollen
Geschichten hören oder ein amüsantes Theaterstück
sehen - und nicht zugeben, daß, wenn sie das fertig
gelesen haben oder das Stück wirklich angeschaut
haben, daß sie am Ende auch etwas gelernt haben.
Also muß man acht geben, daß man seine Absicht
nicht wirklich öffentlich annonciert. Aber das
andere, das ich sagen möchte, warum mich die Theaterstücke
besonders interessieren: Ich wollte sehen, wie man dasselbe
Thema anders behandeln, beschreiben kann. Wir als Naturwissenschaftlicher
erlauben uns nie, den Dialog zu gebrauchen. Wir modernen
Wissenschaftler schreiben Nichts in dialogischem Format.
Galileo hat's getan oder die Griechen, aber wir tun
das nicht. Also wollte ich beweisen, daß man das
sehr leicht tun kann und das es wichtig ist, daß
man es so tut.
Die Besonderheit seines neuesten Werkes ist, unter
demselben Titel EGO hat Djerassi einen Roman und ein
Theaterstück in einem Band zusammengefaßt.
Im Mittelpunkt steht der Schriftsteller Stephen Marx,
der sich um seinen Ruhm und Nachruhm plagt und deshalb
seinen Tod fingiert, um literarisch weiter zu leben.
Nur in Nachrufen und mit einer neuen Identität,
so glaubt der Künstler, könne er erfahren,
ob er geschätzt und gewürdigt wird oder nicht.
Nun hat aber Djerassi dieses Thema nicht nur in zwei
verschiedenen Fassungen, als Roman und als Drama, behandelt
- der Roman liegt schon seit zehn Jahren vor, damals
erscheinen unter dem Titel "Marx verschieden".
Warum also diese zweite Version?
Weil ich zehn Jahre älter bin und mich das Thema
nie verlassen hat, sondern im Gegenteil, mich mehr und
mehr beschäftigt. Ich war sicher 50 Jahre lang
Naturwissenschaftler, jetzt bin ich Literat, aber gewisse
Sachen in diesen zwei sonst ganz verschiedenen Gebieten
sind sehr ähnlich. Das Thema ist für mich
ein autobiographisches, ein autopsychoanalytisches Thema
geworden, an das ich sehr viel denke. Deshalb ist es
für mich das wichtigste Stück und das wichtigste
Buch, das ich geschrieben habe, weil das der einzige
Roman ist - von den fünf Romanen die ich geschrieben
habe -, der sich nicht mit der Naturwissenschaft beschäftigt.
Das Genre, in dem ich schreibe, nenne ich science-in-fiction,
und das Theater-Genre nenne ich science-in-theatre.
Das ist schon etwas Neues für mich, und ich wollte
beweisen, daß ich in beiden Welten lebe, zur gleichen
Zeit.
Im Roman konkurrieren und kämpfen zwei Paare um
den Ruhm des Schriftstellers; eine Journalistin macht
sich auf die Spur des angeblich Toten, findet ihn auch
und schreibt schließlich eine Biographie über
ihn, die mit der Enthüllung seines Erdendaseins
endet. Im Theaterstück verdichtet Djerassi sein
Thema, er konzentriert den Plot auf drei Personen: Stephen
Marx, seine Ehefrau Miriam und zwischen ihnen als Katalysator
ein Psychotherapeut, der despektierlich von Stephen
auch als Seelenklempner beschimpft wird. In seiner Praxis
spielt sich das ganze Geschehen ab. Das Grundthema des
Romans wie des Dramas ist, wie erlangt das Ego Berühmtheit,
was ist der Ursprung von Erfolg, welche Rollen vermag
ein Mensch in seinem Leben zu spielen, kann er in eine
neue Identität schlüpfen?
Das ist etwas, was ich vorher noch nie gemacht habe,
weil meine anderen Theaterstücke nicht auf meinen
eigenen Romanen basiert sind. Ich wollte wirklich dem
neugierigen Leser zeigen, wie zwei verschiedene Bücher,
die sich mit demselben Thema beschäftigen, sowohl
literarisch wie intellektuell verschieden präsentiert
werden können. Und ich glaube, es ist interessant,
und zur gleichen Zeit - das habe ich sogar in einem
Vorwort zu diesem Band geschrieben, das zeigt, ein Akademiker
muß ein Vorwort zu einem Roman und zu einem Theaterstück
schreiben, gewöhnlich tut man das nicht - zur gleichen
Zeit würden sie etwas über den Autor lernen.
Djerassi versteht seine Literatur immer auch als autobiographische
Auseinandersetzung. Der Schriftsteller Djerassi hat
erstmals auch einen Schriftsteller in den Mittelpunkt
gestellt. Er, der heute noch um die ganze Welt reist
um naturwissenschaftliche Vortrage zu halten, aus seinen
Romanen zu lesen oder bei den Inszenierungen seiner
Theaterstücke zugegen zu sein, ist ein Besessener.
Immer möchte er etwas Neues ausprobieren, aber
er möchte genauso dringend wissen, was denkt das
Publikum, findet er Resonanz und Zustimmung, und dies,
so glaubt der fiktive Schriftsteller und so glaubt Djerassi,
ist nach dem Ableben ehrlicher zu erfahren:
Es war immer mein Traum für mich, ob ich eigentlich
meinen eigenen Tod inszenieren kann, inszenieren kann
anstatt wirklich zu sterben. So eine Fliege an der Wand
sein und mir das alles anzuschauen. Das war immer ein
Traum bei mir, in diesem Stück habe ich es realisiert.
Im Roman gelingt es dem Schriftsteller Stephen Marx,
nach dem simulierten Tod ein neues Leben unter einem
neuen Namen zu beginnen; er veröffentlicht einen
neuen Roman unter dem neuen Namen und erregt literarisch
Aufsehen. Im Theaterstück verläuft dieser
Weg nicht so glatt. Die Ehefrau Miriam, die beim Therapeuten
erfährt, daß ihr Mann lebt, entdeckt im Computer
seinen letzten unveröffentlichten Roman, den Stephen
eigentlich unter neuer Identität herausgeben will,
und veröffentlicht ihn unter seinem alten Namen
posthum. Damit ist der Neuanfang gescheitert. Wie sein
großes Vorbild Fernando Pessoa will Stephen ein
Heteronym aufleben lassen - die Ehefrau vermasselt ihm
den ersten Versuch. Allerdings ganz so eindeutig will
der Autor den Schluß seines Theaterstücks
nicht interpretiert sehen:
Für mich ist das Ende erstmal ein überraschendes
Ende und zweitens ist es eine wirkliche Revanche der
Frau, die sich natürlich sehr beleidigt gefühlt
hat. Aber sie hat sich meiner Meinung nach in einer
sehr scharfen aber intelligenten Art revanchiert, wo
sie ihn aber nicht getötet hat. Das heißt,
es stimmt, sie hat sein erstes Heteronym zerstört,
aber zerstört in einer Art und Weise, die ihn als
Literaten nicht zerstört hat. Und er doch beweisen
kann, daß er unter einem neuen Heteronym schreiben
kann. Im Heteronym lebt man das Leben, das ist fast
eine pathologische Sache, aber man lebt als andere Person.
Und weil sie ihm das erste gute Heteronym zerstört
hat, also man weiß in meinem Stück nicht,
ob er es weitertun wird, aber er könnte es tun.
Ego in zweierlei Form ist der reizvolle Versuch, über
die Eitelkeit, das Erfolgsdenken, über Karrieresucht
und Rücksichtslosigkeit in der männlich beherrschten
literarischen Szene nachzudenken, aber zum Glück
gibt es nicht nur den Egomanen Stephen, sondern im Roman
zwei, im Theaterstück eine weibliche Person, die
mit Witz und Esprit, allerdings manchmal auch mit unverhohlener
Wut, dem männlichen Herausforderer begegnen. Djerassi
ist auch zur Selbstironie fähig, und das macht
seinen literarischen Ego-Stoff sympathisch.
Carl Djerassi
EGO - Roman und Theaterstück
Haymon Verlag, 288 S., EUR 19,90
Ankündigung der Veranstalter:
Die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika,
die Heinrich-Böll-Stiftung und das
Veranstaltungsforum der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck
GmbH möchten Sie sehr herzlich zu einem Gespräch
einladen mit:
Carl Djerassi, Schriftsteller und emeritierter Professor
für Chemie an der Stanford University
Um 19.00 Uhr wird Carl Djerassi in der Heinrich-Böll-Stiftung
einen Vortrag halten zum Thema "Wissenschaftliches
Schmuggeln
durch Buch und Bühne".
Datum: 29. April 2009, 19.00 Uhr
Begrüßung: Peter R. Claussen,
Kulturattaché, Botschaft der Vereinigten Staaten
von Amerika
Gesprächspartnerin: Andrea Fischer, Pleon GmbH,
Bundesgesundheitsministerin a. D.
Wissenschaftliches Klonen, Stammzellforschung, pränatale
Diagnostik und ihre Konsequenzen, die Fähigkeit,
Leben zu verlängern über die Grenzen der Hoffnung
hinweg: All diese Themen beschäftigen nicht nur
die Wissenschaft, sondern finden ihren Niederschlag
in den Feuilletons und Talkshows. Können Literatur
und Bühne als "Mittel" dienen, solch
komplexe, die Gesellschaft direkt betreffende Themen
zu erläutern? Und auf welche Weise werden diese
Themen auf beiden Seiten des Atlantiks diskutiert und
wahrgenommen?
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