Carl Djerassi: „Wissenschaftliches Schmuggeln durch Buch und Bühne“ 29. April 2009  
 
Zeichnungen (c) Helmut Preller: Heinrich-Böll-Stiftung | Berlin
 
   
 
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  Prof. Carl Djerassi - lecturing  
     
 
  
 

Djerassi:
"... ohne Vertrauen kann das Unternehmen Forschung nicht existieren..."


aus "EGO" - Radio-Interview 15.4.2004 im Deutschlandfunk:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/264542/

Carl Djerassi, "EGO - Roman und Theaterstück"
Jenseits der Forschung - von Lerke von Saalfeld

"Der Tod des Autors ist die Geburt der Literatur" philosophiert Carl Djerassi in seinem neuesten Werk, das den Titel EGO trägt. Der weltberühmte Naturwissenschaftler erfand Anfang der 50er Jahre das künstliche Gestagen, die Grundlage für die Antibabypille - er spricht allerdings nicht von Antibabypille, sondern von der Pille für die Frau. Seit fünfzehn Jahren ist er nun auch zum Schriftsteller mutiert. Djerassi hat eine zweite Karriere begonnen, weil das Schreiben ihm mehr Freiheit erlaubt als die wissenschaftliche Forschung. Der heute 81jährige sehr vitale und immer noch neugierige Chemiker bekennt als Impetus seines Schreibens:

Ich muss sagen, die wirklich erste Motivation war, die Literatur zum intellektuellen Schmuggeln zu gebrauchen, indem ich Ideen und Gegenstände, die alle von der Naturwissenschaft kommen, in ein generelles Publikum hineinschmuggeln wollte, ein Publikum, das nicht an diesen Sachen interessiert ist oder Angst vor denen hat. Ich möchte Geschichten erzählen, ich möchte sie ins Theater einladen. Alle Leute wollen Geschichten hören oder ein amüsantes Theaterstück sehen - und nicht zugeben, daß, wenn sie das fertig gelesen haben oder das Stück wirklich angeschaut haben, daß sie am Ende auch etwas gelernt haben. Also muß man acht geben, daß man seine Absicht nicht wirklich öffentlich annonciert. Aber das andere, das ich sagen möchte, warum mich die Theaterstücke besonders interessieren: Ich wollte sehen, wie man dasselbe Thema anders behandeln, beschreiben kann. Wir als Naturwissenschaftlicher erlauben uns nie, den Dialog zu gebrauchen. Wir modernen Wissenschaftler schreiben Nichts in dialogischem Format. Galileo hat's getan oder die Griechen, aber wir tun das nicht. Also wollte ich beweisen, daß man das sehr leicht tun kann und das es wichtig ist, daß man es so tut.

Die Besonderheit seines neuesten Werkes ist, unter demselben Titel EGO hat Djerassi einen Roman und ein Theaterstück in einem Band zusammengefaßt. Im Mittelpunkt steht der Schriftsteller Stephen Marx, der sich um seinen Ruhm und Nachruhm plagt und deshalb seinen Tod fingiert, um literarisch weiter zu leben. Nur in Nachrufen und mit einer neuen Identität, so glaubt der Künstler, könne er erfahren, ob er geschätzt und gewürdigt wird oder nicht. Nun hat aber Djerassi dieses Thema nicht nur in zwei verschiedenen Fassungen, als Roman und als Drama, behandelt - der Roman liegt schon seit zehn Jahren vor, damals erscheinen unter dem Titel "Marx verschieden". Warum also diese zweite Version?

Weil ich zehn Jahre älter bin und mich das Thema nie verlassen hat, sondern im Gegenteil, mich mehr und mehr beschäftigt. Ich war sicher 50 Jahre lang Naturwissenschaftler, jetzt bin ich Literat, aber gewisse Sachen in diesen zwei sonst ganz verschiedenen Gebieten sind sehr ähnlich. Das Thema ist für mich ein autobiographisches, ein autopsychoanalytisches Thema geworden, an das ich sehr viel denke. Deshalb ist es für mich das wichtigste Stück und das wichtigste Buch, das ich geschrieben habe, weil das der einzige Roman ist - von den fünf Romanen die ich geschrieben habe -, der sich nicht mit der Naturwissenschaft beschäftigt. Das Genre, in dem ich schreibe, nenne ich science-in-fiction, und das Theater-Genre nenne ich science-in-theatre. Das ist schon etwas Neues für mich, und ich wollte beweisen, daß ich in beiden Welten lebe, zur gleichen Zeit.

Im Roman konkurrieren und kämpfen zwei Paare um den Ruhm des Schriftstellers; eine Journalistin macht sich auf die Spur des angeblich Toten, findet ihn auch und schreibt schließlich eine Biographie über ihn, die mit der Enthüllung seines Erdendaseins endet. Im Theaterstück verdichtet Djerassi sein Thema, er konzentriert den Plot auf drei Personen: Stephen Marx, seine Ehefrau Miriam und zwischen ihnen als Katalysator ein Psychotherapeut, der despektierlich von Stephen auch als Seelenklempner beschimpft wird. In seiner Praxis spielt sich das ganze Geschehen ab. Das Grundthema des Romans wie des Dramas ist, wie erlangt das Ego Berühmtheit, was ist der Ursprung von Erfolg, welche Rollen vermag ein Mensch in seinem Leben zu spielen, kann er in eine neue Identität schlüpfen?

Das ist etwas, was ich vorher noch nie gemacht habe, weil meine anderen Theaterstücke nicht auf meinen eigenen Romanen basiert sind. Ich wollte wirklich dem neugierigen Leser zeigen, wie zwei verschiedene Bücher, die sich mit demselben Thema beschäftigen, sowohl literarisch wie intellektuell verschieden präsentiert werden können. Und ich glaube, es ist interessant, und zur gleichen Zeit - das habe ich sogar in einem Vorwort zu diesem Band geschrieben, das zeigt, ein Akademiker muß ein Vorwort zu einem Roman und zu einem Theaterstück schreiben, gewöhnlich tut man das nicht - zur gleichen Zeit würden sie etwas über den Autor lernen.

Djerassi versteht seine Literatur immer auch als autobiographische Auseinandersetzung. Der Schriftsteller Djerassi hat erstmals auch einen Schriftsteller in den Mittelpunkt gestellt. Er, der heute noch um die ganze Welt reist um naturwissenschaftliche Vortrage zu halten, aus seinen Romanen zu lesen oder bei den Inszenierungen seiner Theaterstücke zugegen zu sein, ist ein Besessener. Immer möchte er etwas Neues ausprobieren, aber er möchte genauso dringend wissen, was denkt das Publikum, findet er Resonanz und Zustimmung, und dies, so glaubt der fiktive Schriftsteller und so glaubt Djerassi, ist nach dem Ableben ehrlicher zu erfahren:

Es war immer mein Traum für mich, ob ich eigentlich meinen eigenen Tod inszenieren kann, inszenieren kann anstatt wirklich zu sterben. So eine Fliege an der Wand sein und mir das alles anzuschauen. Das war immer ein Traum bei mir, in diesem Stück habe ich es realisiert.

Im Roman gelingt es dem Schriftsteller Stephen Marx, nach dem simulierten Tod ein neues Leben unter einem neuen Namen zu beginnen; er veröffentlicht einen neuen Roman unter dem neuen Namen und erregt literarisch Aufsehen. Im Theaterstück verläuft dieser Weg nicht so glatt. Die Ehefrau Miriam, die beim Therapeuten erfährt, daß ihr Mann lebt, entdeckt im Computer seinen letzten unveröffentlichten Roman, den Stephen eigentlich unter neuer Identität herausgeben will, und veröffentlicht ihn unter seinem alten Namen posthum. Damit ist der Neuanfang gescheitert. Wie sein großes Vorbild Fernando Pessoa will Stephen ein Heteronym aufleben lassen - die Ehefrau vermasselt ihm den ersten Versuch. Allerdings ganz so eindeutig will der Autor den Schluß seines Theaterstücks nicht interpretiert sehen:

Für mich ist das Ende erstmal ein überraschendes Ende und zweitens ist es eine wirkliche Revanche der Frau, die sich natürlich sehr beleidigt gefühlt hat. Aber sie hat sich meiner Meinung nach in einer sehr scharfen aber intelligenten Art revanchiert, wo sie ihn aber nicht getötet hat. Das heißt, es stimmt, sie hat sein erstes Heteronym zerstört, aber zerstört in einer Art und Weise, die ihn als Literaten nicht zerstört hat. Und er doch beweisen kann, daß er unter einem neuen Heteronym schreiben kann. Im Heteronym lebt man das Leben, das ist fast eine pathologische Sache, aber man lebt als andere Person. Und weil sie ihm das erste gute Heteronym zerstört hat, also man weiß in meinem Stück nicht, ob er es weitertun wird, aber er könnte es tun.

Ego in zweierlei Form ist der reizvolle Versuch, über die Eitelkeit, das Erfolgsdenken, über Karrieresucht und Rücksichtslosigkeit in der männlich beherrschten literarischen Szene nachzudenken, aber zum Glück gibt es nicht nur den Egomanen Stephen, sondern im Roman zwei, im Theaterstück eine weibliche Person, die mit Witz und Esprit, allerdings manchmal auch mit unverhohlener Wut, dem männlichen Herausforderer begegnen. Djerassi ist auch zur Selbstironie fähig, und das macht seinen literarischen Ego-Stoff sympathisch.

Carl Djerassi
EGO - Roman und Theaterstück
Haymon Verlag, 288 S., EUR 19,90

 

Ankündigung der Veranstalter:

Die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika,
die Heinrich-Böll-Stiftung und das
Veranstaltungsforum der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck GmbH möchten Sie sehr herzlich zu einem Gespräch einladen mit:

Carl Djerassi, Schriftsteller und emeritierter Professor für Chemie an der Stanford University

Um 19.00 Uhr wird Carl Djerassi in der Heinrich-Böll-Stiftung einen Vortrag halten zum Thema "Wissenschaftliches Schmuggeln
durch Buch und Bühne".

Datum: 29. April 2009, 19.00 Uhr

Begrüßung: Peter R. Claussen,
Kulturattaché, Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika

Gesprächspartnerin: Andrea Fischer, Pleon GmbH, Bundesgesundheitsministerin a. D.

Wissenschaftliches Klonen, Stammzellforschung, pränatale Diagnostik und ihre Konsequenzen, die Fähigkeit, Leben zu verlängern über die Grenzen der Hoffnung hinweg: All diese Themen beschäftigen nicht nur die Wissenschaft, sondern finden ihren Niederschlag in den Feuilletons und Talkshows. Können Literatur und Bühne als "Mittel" dienen, solch komplexe, die Gesellschaft direkt betreffende Themen zu erläutern? Und auf welche Weise werden diese Themen auf beiden Seiten des Atlantiks diskutiert und wahrgenommen?